Beratung in der Galvanotechnik
Von der Kaffeemaschine über Handys und elektrische Zahnbürsten, unsere digitale Infrastruktur bis hin zu Autos haben unendlich viele Gegenstände unseres Alltags Oberflächenbeschichtungen, die ihre Funktionalität oft überhaupt erst ermöglichen. „Selbst Strom würde weltweit nicht fließen ohne beschichtete Schaltkontakte“, erläutert Maik Hormel, Technische Werksleitung bei der DEKOTEC GmbH, einem Tochterunternehmen der Holzapfel Group.
Die Beratung in der Galvanotechnik wird immer wichtiger, weil die technischen Themen zunehmend über die „einfache“ Festlegung bestimmter Parameter hinausgehen. „Bloße Angaben etwa zur gewünschten Schichtdicke und zu Korrosionsschutzwerten wie etwa dem NSST (Nebel-Salz-Sprüh-Test) oder der Bezug auf Normen reichen häufig nicht mehr aus, um die passende Beschichtung auszuwählen“, erläutert Michael Kolb, Projekt- und Innovationsmanager bei der Holzapfel Group. Bei Verfahren wie Chemisch Nickel sind häufig auch die erforderlichen Phosphor- und Nickel-Einbauraten der Beschichtung schon bekannt, um an das Bauteil gestellte Anforderungen zu erreichen. „Darüber hinaus gibt es aber immer stärker die Anforderung nach weiteren Funktionen, die über die Beschichtung abzubilden sind“, so Kolb weiter. „Zusätzliche Funktionen wie Lötbarkeit, zum Beispiel durch das Herstellen von intermetallischen Verbindungen und damit verbunden die Benetzbarkeit oder die Schichthaftung etwa bei rotationsbelasteten Bauteilen, werden immer mehr zum Thema. Aber auch katalytische Wirkungen oder das Darstellen eines definierten elektrischen Wirkungsgrads spielen immer häufiger eine Rolle.“
Zum Erfüllen dieser gestiegenen Anforderungen sind immer öfter abgestimmte Schichtsysteme nötig, welche die Substrate (Grundwerkstoffe) und die weitere Verwendung sowie den Einsatz der Bauteile mit Beschichtung berücksichtigen. „Da gibt es dann nicht mehr ‚die eine‘ Beschichtung, die alle notwendigen Ansprüche erfüllt“, weiß Kolb. „Schichtsysteme müssen engmaschig abgestimmt werden, damit sie dauerhaft ‚im Feld‘ funktionieren.“ Ein Beispiel dafür sind Poren bei Kupfer-Schmiede-Substraten, wie sie für Bauteile mit Kühlfunktion in der Elektromobilität eingesetzt werden. Hier ist die Dichtigkeit der Schicht ein wesentlicher Faktor, um Langzeitfolgen durch Korrosion auf der Kühlmittelseite der Bauteile, die mit den Kühlungsflüssigkeiten in stetem Kontakt sind, zu vermeiden. Verdeckte Materialporen könnten zum Beispiel zu zeitverzögerten Korrosionsschäden führen. Auf der gegenüberliegenden Seite desselben Bauteils liegen die Funktionen der aufgebrachten Schicht in der Fähigkeit, darauf zu verlöten oder zu bonden.
Partielle Lösungen schonen Ressourcen und Materialverbrauch
Eine andere Lösung für komplexer werdende Anforderungen sind zunehmend partielle Lösungen. Hier wird weniger Material benötigt als bei einer vollflächigen Beschichtung, was nicht nur ressourcenschonend ist, sondern bei steigenden Rohstoffpreisen (wie etwa den Silber- und Nickelpreisen) auch kostenminimierend wirkt. Hier gibt es unterschiedlichste Lösungsansätze, angefangen von partiellen Maskierungen über Freilasern von Stellen bis hin zu besonderer Gestell- und Anlagentechnik.
Gute Beratung erfordert eine intensive Betrachtung
„Eine gute Beratung beschäftigt sich mit dem Thema des Bauteils über die eigentliche Beschichtung hinaus“, erklärt Projekt- und Innovationsmanager Kolb. „Um uns in das Bauteil hineinzudenken, stellen wir viele Fragen: In welcher Umgebung wird es eingesetzt? Welche Funktionen soll das Bauteil erfüllen? Welches Grundmaterial wird eingesetzt und welche Möglichkeiten oder auch Risiken birgt das?“ Wenn diese Fragen beantwortet und möglichst viele Parameter bekannt sind, wird im Team und auch mit dem Kunden über potentielle Lösungen beraten. Besonders spannend im weiteren Verlauf einer Projektberatung ist bspw. auch die gemeinsame Erarbeitung der Antwort auf die Frage, welche dem Beschichten vorgelagerten Herstellungsprozesse das Bauteil durchläuft und inwiefern man hier schon auf die Beschichtungsqualität und die gewünschte Funktionalität Einfluss nehmen kann. Das erfordert viel Transparenz von unterschiedlichen Seiten, aber diese Betrachtungsweise bewährt sich nach Erfahrung der Holzapfel Group immer. Im nächsten Schritt können dann bspw. Bemusterungen Aufschluss über die beste Option geben. „Dann testen wir durchaus unterschiedliche Schichtkombinationen, vor allem bei Anwendungen, die auch für uns zum Teil noch neu sind“, so Kolb.
„Je mehr wir über das Bauteil und seinen späteren Anwendungsfall wissen, desto besser“, sagt auch Maik Hormel. „Mit einem möglichst genauen Wissen können wir viel besser und effektiver beraten.“ Leider ist es oft so, dass bei Anfragen die Anforderungen des tatsächlichen Endkunden nicht oder nur vage bekannt sind. „Aus galvanotechnischer Sicht sind mache Anforderungen dann nur schwer und aufwendig herstellbar“, so Hormel. „Werden wir früher eingebunden, am besten schon in der Konstruktionsphase, können wir galvanotechnisch sinnvolle Konstruktionsanpassungen vorschlagen, die oft positiv auf die Beschichtungskosten wirken.“ So können bspw. Hinterschneidungen und Lufteinschlüsse vermieden werden oder gezielt Stellen für die Anbringung am Beschichtungsgestell vorgesehen werden. Unter Umständen ist mit der richtigen Beschichtung sogar die Umstellung auf ein günstigeres Grundmaterial möglich.
Komplexe Anforderungen und andere Grundwerkstoffe erfordern Schichtkombinationen
Die Notwendigkeit von Schichtkombinationen steigt auch mit den komplexer werdenden Anforderungen oder aber dem Einsatz von anderen Grundwerkstoffen. Ein Beispiel sind Bauteile aus Aluminium, die gerade in Verbindung mit E-Mobilität, Leichtbau und Reichweitenoptimierung in unterschiedlichsten Ausführungen und Einsatzfeldern einen unglaublichen Trend erfahren. „Aluminium kann zum Beispiel nicht direkt verzinnt oder vernickelt werden. Wenn eine Schicht aus Zinn oder Nickel notwendig ist, wird daher vorher eine Zwischenschicht aus Chemisch Nickel als Diffusionssperre aufgebracht“, erklärt Hormel. Unterschiedliche Anforderungen wie Korrosionsschutz und gleichzeitiger Verschleißschutz können etwa über Chemisch Nickel-Schichten mit unterschiedlichen Phosphoreinbauraten gelöst werden. Ein Beispiel hierfür sind Bauteile wie Power-Module. Chemisch Nickel sorgt für einen guten Korrosionsschutz und die anschließend aufgebrachte Schicht bspw. aus Nickelsulfamat gewährleistet die benötige Lötfähigkeit.
Dabei kann die Beratung auch durchaus darauf hinauslaufen, dass es die richtige Lösung für ein Bauteil (noch) nicht gibt oder aber eine galvanische Beschichtung generell nicht geeignet ist. Bei früher Einbindung des Beschichters kann die Entwicklung einer Beschichtung oder eines Schichtsystems eine Option sein.
Schritte zur individuellen Beschichtungslösung
Auf dem Weg zu einer mit dem Kunden gemeinsamen erarbeiteten Beschichtungslösung werden mit Hilfe eines professionellen Projektmanagement Systems diverse Schritte durchlaufen:
- Technische Machbarkeitsprüfung
- Beschichtungssimulation (je nach Beauftragung)
- Musterbeschichtungen
- Umfassende Dokumentation der Musterbeschichtung mit Hilfe von modernsten Analysegeräten und einer Vielzahl von möglichen Testversuchen in unserem Q-Kontrollzentrum
- Technische Validierungsphase gemeinsam mit dem Kunden bzw. deren Endkunden
- Erstellen eines Lastenhefts, ggf. auch mit Prüfmustern
Bei der Holzapfel Group unterstützt ein Chemie- und Werkstofflabor mit modernsten Analysegeräten bei der Forschung und Entwicklung für neue Oberflächenverfahren. Moderne Analysemethoden, wie der Einsatz eines Rasterelektronenmikroskops mit EDX-Analysesystem oder ein Gerät zur Konfokalmikroskopie, ermöglichen unter anderem detaillierte Schichtuntersuchungen im Rahmen von Entwicklungsprozessen, wie etwa genaue Untersuchungen der Schichtzusammensetzung und Schichteigenschaften. Diese mikroskopischen Analysegeräte ermöglichen präzise Oberflächenbetrachtungen, beispielsweise tiefenscharfe Analysen der Mikrostruktur mit hoher Vergrößerung. Auch feinste Konturen können hier sehr gut dargestellt werden. Diese detaillierten Untersuchungen und Analysen helfen bei der qualitativen und quantitativen Beschreibung des metallischen Werkstoffgefüges sowie bei der Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Beschichtung und Grundmaterial. Durch die so gewonnenen Erkenntnisse können die Beschichtungsprozesse optimiert und gewünschte Schichteigenschaften realisiert werden. Bei frühzeitiger Einbindung in den Entwicklungsprozess können die detailreichen Analysen auch Anhaltspunkte für Konstruktions- oder Materialanpassungen geben.